Mit Weinkenner Toni Ottiger unterwegs
Reisebericht Weinreise Sizilien
08. bis 19. April 2024
Unsere Reise stand unter dem Titel Wein und Kultur. Wobei beides sehr nahe zusammenhängt. Und Kultur besteht ja aus Vergangenem und der Gegenwart, aus Zeitgeist und Wertvorstellungen, aus Esskultur und Umgangsformen, aber auch aus Kunst und Landwirtschaft. Die Natur ist gegeben, sie prägt jedoch die Kultur der Menschen. Alle diese Aspekte Siziliens prägten unsere Reise und haben unsere Lebenserfahrung bereichert.
14. Juni 2024
Unser erstes Ziel war der Ätna, wir logierten für drei Nächte auf der «Tenuta San Michele» in Santa Venerina, an der Ostflanke des aktiven Vulkans, aber in sicherer Distanz zum rauchenden Schlund und nahe dem Ionischen Meer. Auf dem traditionsreichen Weingut «Murgo» werden hervorragende Schaumweine sowie Weiss- und Rotweine aus den autochthonen Sorten Catarratto und Nerello Mascalese produziert. Wir durften das Sortiment als Wine&Dine kennen lernen und wurden freudig überrascht von einer schmackhaften, lokalen Küche und zugänglichen Weinen. Start geglückt, trotz Ankunft auf unbekanntem Terrain und Bezug der Villas bei Nacht.
Am folgenden Tag gings los mit Besuchen von Spitzenweingütern am Ätna. Auf rund 1000 m.ü.M. wachsen die Reben auf verwitterter Lava und Vulkanstaub, welche die Mineralität und den Ausdruck der Weine prägen. «Passopisciaro» sowie «Terre Nere» standen auf dem Programm und haben uns mit ihren lebhaften Weissweinen und den filigranen, eleganten Roten aus der Nerello Mascalese-Trauben in ihren Bann gezogen. Im Ristorante Veneziano in Randazzo gabs verschiedene akkurat zubereitete Pilze, frisch geerntet an den Hängen des Ätna, selbstverständlich Pasta und als Hauptgang einen Braten vom Bergschwein aus der Umgebung. Was will man mehr? Und trotzdem stehen uns noch 10 Tage für weitere Leckereien zu Verfügung. Na, dann hinein ins Vergnügen! Die Stimmung der 24 Wein- und Kulturinteressierten war schon bestens und vergnüglich.
Eine Erkundung der Kratergebiete gehört hier dazu. Francesco hat uns am 3. Tag genau dies geboten mit einer interessanten Fahrt durch die neuesten Lavaströme und mit Spaziergängen durch erkaltete Fumarolen und Krater. Herrlich, die Aussicht von hier oben, und etwas mulmig mit dem Wissen, dass es jederzeit wieder losgehen kann. Da vermittelte uns die App mit den aktuellen seismischen Ausschlägen doch ein beruhigendes Gefühl, da der Herzschlag des Berges gerade sehr ruhig verlief.
«Barone de Villagrande», das älteste Weingut hier am Vulkan, nahe Milo auf 700 m.ü.M. gelegen, ist unser letzte Station in dieser Weinregion. Weil in der Gegend von Milo Kastanienhaine zu finden sind, werden hier die Weine von alters her in Lager-Fässern aus Kastanienholz gereift. Beim Ausbau durchlaufen die Spitzenweine heute eine Reifung in klassischen französischen Barriques. Hervorragende Weine mit Frische und Mineralität, mit Kraft und Eleganz werden uns zu wunderbaren Gerichten gereicht. Noch ein Höhepunkt, wie soll man dies noch steigern, lautet die Frage. Nun gut, im Verlauf der nächsten zwei Tage stehen Besuche in Catania und Siracusa auf dem Programm.
Catania, welches Ende des 17. Jahrhunderts, also vor rund 250 Jahren, vom Ätna fast, und durch ein Erdbeben einige Jahre später gänzlich zerstört wurde, erstrahlte nach dem Wiederaufbau mit viel Barock in neuem Glanz und ist heute eine Perle an der Ostküste und die zweitgrösste Stadt Siziliens nach Palermo. Die Lebendigkeit in den Gassen und der faszinierende Fischmarkt sind legendär, und wir konnten dies bei einem ausgedehnten Besuch selbst erfahren. Siracusa wiederum hat griechischen Ursprung. In der Altstadt gibt es noch Zeugen jener Zeit, die wichtigsten Gemäuer sind ebenfalls aus der Barockzeit, da auch hier das Erdbeben von 1693 die meiste Bausubstanz zerstört hatte. Im archäologischen Park hingegen zeigen Ausgrabungen die Bedeutung der damaligen Siedlung, welche in ihrer Hochblüte über 1 Mio. Einwohner hatte. Bei angenehmem Frühlingswetter durften wir von der kenntnisreichen Führerin profitieren und uns imaginär bis zu 2000 Jahre zurückversetzen lassen. Die Kulissen von Theater, Katakomben, Wasserläufen und immensen Opferaltären luden dazu ein. Besonders beeindruckend ist die Kalksteinhöhle, welche wie ein Ohr geformt wird, der Legende nach «das Ohr des Dionisio». Dazwischen besuchten wir Weingüter in der Herkunftsregion des Nero d’Avola. Einerseits die «Tenuta Palmeri» in Avola, aufgebaut vom umtriebigen Schweizer Ueli Breitschmid, und andererseits in Noto die «Tenuta Zisola». Auf beiden Gütern wurden wir freundlich willkommen geheissen, und über die Eigenheiten der Böden, des Klimas und über den Ausbau des Weines informiert. Die Tastings haben uns eine völlig neue Sicht auf die Weine Siziliens vermittelt, und insbesondere zeigten sich die roten Nero d’Avola mit dunkler Frucht, elegantem Gerüst und angenehmer Frische bei stützenden Tanninen. Alles andere als die süsslichen, plumpen Vertreter dieser Sorte, welche bei uns oft angeboten werden und besonders bei jungen Weinkonsumenten sehr beliebt sind.
Die Reise führte uns anschliessend nach Vittoria, wo der einzige Wein mit DOCG-Status herkommt, der «Cerasuolo», ein Blend aus Nero d’Avola und Frappato. Im Übrigens weist Sizilien 23 DOC-Gebiete auf, welche die Unterregionen abbilden. Darüber hinaus ist Sizilien das grösste aller italienischen Weinbaugebiete. Mit rund 90'000 ha führt Sizilien das Feld aller italienischen Regionen an, welche zusammen rund 720’000 ha aufweisen, und hievt Italien damit auf Platz 4 der grössten Weinbauländer, nach Spanien, Frankreich und China! Allerdings ist Italien bekanntlich der grösste Produzent von Wein weltweit, dahinter folgen Frankreich und Spanien (2022). Wir besuchen das Weingut von «Arianna Occhipinti», welche im Alter von 22 Jahren mit einer Hektare begann und heute mit 42 die lokale Trendsetterin ist. Der Betrieb umfasst 40 ha Reben, dazu kommen Gemüse- und Getreideanbau sowie Olivenhaine Sie hat eine Zertifizierung für Bio und Nachhaltigkeit, und keltert die Weine in sorgsam in die Landschaft eingebetteten, modern ausgestatteten Kellerräumlichkeiten. Die Lage im Einflussbereich der heissen Winde aus Afrika und der kühlenden Hänge der Iblei-Berge macht es möglich, dass auf den wasserspeichernden Böden aus Muschelkalk und Lehm, sehr fruchtige und mineralische Weine entstehen. Marica hat es uns leicht gemacht, die Philosophie von Arianne im Rebberg und Keller zu verstehen, und uns wohlzufühlen in den hübsch gestalteten, lichtdurchflutenden Räumen der ehemaligen Landhäuser. Einige der Weine sind nach der nahe gelegenen Strada Provinciale 68 benannt, so z.B. SP68 Bianco oder SP68 Rosso. Hinzu kommen die Lagenbezeichnungen, welche vor einigen Jahren in Sizilien von den führenden Winzerinnen und Winzer durchgesetzt wurden mit dem Ziel, die Individualität der Weine je nach Lage (Contrada) hervorzuheben. Ähnlich den französischen Bezeichnungen der Grand-Cru-Lagen.
Im Verlauf des Tages genossen wir eine weitere historische Lektion, nämlich in den Ausgrabungen der römischen Villa Casale in Piazza Armerina. Die umfassendsten Mosaiken, welche je gefunden wurden, zierten damals die Böden einer grossen Wohnanlage, und sind heute so gut erhalten, weil sie während Jahrhunderten unter einem Erdrutsch unentdeckt geblieben waren. Den Abschluss der ersten Woche verbrachten wir für zwei Nächte am Meer in der Nähe der Scala dei Turchi, von wo aus wir die griechischen Tempel bei Agrigent besuchten. Demut und Staunen über die antiken Wunderwerke der Architektur und Religion und des damaligen Städtebaus.
Die zweite Woche beginnt wieder mit intensiven Degustationen: Bei «Planeta Ulmo» am Lago Arancio, auf 300-350 m.ü.M. in der Nähe der Stadt Sambuca di Sicilia gelegen, bei «Mandrarossa» in Menfi und bei «Cantine Florio» in Marsala. Die weltbekannten Weine des Pionierweingutes Planeta haben auch uns erfreut, insbesondere auch wegen der umwerfenden Lage in den historischen Gemäuern, am lieblichen Lago Arancio gelegen. Die Krönung der ausschweifenden Verkostung war sicherlich der begeisternde Merlot mit dem Jahrgang 2010, welcher sogar noch zu kaufen war und uns nicht nur in Erinnerung bleiben wird, sondern unsere Gefühle bei jedem Öffnen einer Flasche aufleben lassen wird. Alles bereit fürs Tasting bei Planeta Mandrarossa ist der Spezialitäten-Keller der riesigen Genossenschaft Settesoli, welche über 6000 ha von rund 500 Winzern verarbeitet. Mandrarossa steht für erstklassige Weine von den besten Rebbergen an der Mefitanaküste und von Pantelleria. Zum Abschluss des Tages stand auch ein Besuch in der Cantine Floria in Marsala an. Den meisten in unserer Gruppe war dies fast zu viel nach dem schon reich befrachteten Tagesprogramm. Trotzdem haben sich alle auf die interessante Führung eingelassen und waren nicht enttäuscht. Die Faszination dieser Keller mit tausenden von Fässern in teils unfassbarer Grösse, angeordnet nach den klimatischen Begebenheiten in den vier Schiffen – je nach Distanz zum Meer ändern sich die Bedingungen – liegt im Endprodukt, welches auf der Basis der Sorte Grillo wunderbar salzig und frisch, oder nussig und würzig, aber auch trocken bis süss schmecken kann.
Der Westteil der Insel ist landschaftlich sehr hübsch. Hier befinden sich die grössten Rebflächen Siziliens. In den Weinbergen wird vor allem Grillo produziert für die unterschiedlichen Marsalaweine. Wir durchfahren die Gegend, um Segesta zu besuchen, wo ein völlig intakter, aber damals nicht vollendeter Tempel seit mehr als zwei Jahrtausenden auf einem Berg steht und zu einer Siedlung von Elymern gehört, wo noch weitere Überreste bestaunt werden können. Unseren önologischen Höhepunkt fanden wir in den Weinen der legendären Kellerei von Marco de Bartoli in Samperi bei Marsala. Die junge Generation mit Giuseppa und ihrem Bruder führet die Pionierarbeit des Vaters fort und produzieret eigenständige, traditionelle Weine, ohne der Modernität zu verfallen. Unglaublich dichte, salzige, mineralische und berührende Weine durften wir degustieren, Jahrgänge von 2022 bis 1988. Giuseppa hat mit ihrer feinen Art die Weine und ihre Betriebsphilosophie zu kommentieren, ihren Teil dazu beigetragen, dass wir die Authentizität und Tiefgründigkeit dieser Trouvaillen ergründen konnten.
Palermo, unsere letzte Destination, erreichen wir nach Zwischenstopps in den ausgedehnten Salinen zwischen Marsala und Trapani, sowie in Érice. Érice, auf einem Sicherheit bietenden Fels auf rund 750 m.ü.M. gelegen, bietet wunderbare Ausblicke und retrospektive Einblicke in die lange und wechselvolle Geschichte der Festung. Eines der schönsten Dörfer Italiens, ohne Zweifel. Die guten Restaurants und das traditionelle Mandelgebäck versüssen den Aufenthalt in den windigen Gassen. Palermo, die geschundene Stadt, ist wieder auferstanden, nachdem sie nach den Verheerungen des 2. Weltkriegs vernachlässigt wurde. Die neue Stadt wurde am Rande der heutigen Altstadt errichtet und in den letzten Jahrzehnten kehrten die adligen Besitzer der Palazzi teils zurück und haben sich neu eingerichtet. Die Stadt hat Bemühungen unternommen, die Kulturgüter zu renovieren und zugänglich zu machen. Die Besucher sind zurück und damit auch das Kleingewerbe, die Bars und Restaurants, Handwerker und Manufakturen, es gibt vieles zu entdecken. Dies haben wir ausgiebig getan, und auf einer Führung mit Gino durch die wichtigsten Kirchen und Palazzi, Plätze und Innenhöfe, zu Brunnen und durch Gassen, haben wir die Geschichte der Stadt und deren aktuellen Puls erfahren. Danke Gino für diese wunderbare Zeitreise.
Zum Schluss besuchten wir die Tenuta Regaleali im DOC Sclafani, mitten in der Insel gelegen. Die Familie Tasca betreibt hier seit fast 200 Jahren Landwirtschaft und hat in den letzten Jahrzehnten einen herausragenden Weinbaubetrieb aufgebaut. Wir besuchen die Weinberge, die Produktion im Keller, verkosten diverse Weine und geniessen im edlen Ambiente typische Gerichte, kombiniert mit passenden Weinen. Ein Eingang in den Baglio (Hof) auf Regaleali fantastisches Erlebnis!. Der anschliessende Abstecher nach Cefalú ans aufgewühlte Meer hat unseren Tag zu einem Gesamterlebnis gemacht.
Die Reise hat uns eindrücklich die Aufbruchstimmung im Sizilianischen Weinbau vorgeführt und den Reichtum der Insel an Vergangenem, aber auch den grossen Reichtum an landwirtschaftlichen Produkten, die Schönheit der Landschaften und die lebensfrohen und liebenswerten Menschen. Herzlichen Dank an alle Mitreisenden für das Interesse und den Respekt gegenüber allen besuchten Betrieben, ein grosses Dankeschön an alle Führerinnen und Führer in den Städten und Stätten und herzlichen Dank an Twerenbold für die Durchführung der Reise.